REINER SCHWOPE

Schlagwort: Sitzen

  • Sitzende Arbeit und seine Folgen

    Sitzende Arbeit und seine Folgen

    Sitzende Arbeitstätigkeit geht häufig mit Beschwerden einher. Das können Nackenprobleme sein, Rückenschmerzen im Kreuzbereich, Sehnenentzündungen in den Armen und Kopfschmerzen. Aber es hat auch noch weitreichendere Folgen. Sesshaftes Verhalten wird mit verschiedenen gesundheitlichen Folgen in Verbindung gebracht:

    • Diabetes mellitus
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
    • Gesamtmortalität


    Inwieweit es einen Zusammenhang zwischen objektiv gemessenem sitzenden Verhalten und Krebsrisiko gibt, war wenig bekannt. Diese Frage wurde in einer Studie an der Texas Universität[1]Susan C. Gilchrist, Virginia J. Howard, Tomi Akinyemiju et al: Association of Sedentary Behavior With Cancer Mortality in Middle-aged and Older US Adults. JAMA Oncol. 2020;6(8):1210-1217 untersucht. Die Frage war: Ist sesshaftes Verhalten mit dem zukünftigen Krebssterblichkeitsrisiko von Erwachsenen mittleren und höheren Alters assoziiert? Gemessen wurde die Aktivität durch Beschleunigungsmesser. Dieser war an der Hüfte angebracht. An sieben aufeinanderfolgenden Tagen musste er getragen werden. Sie maßen das Gesamtvolumen und Häufigkeit in längeren, ununterbrochenen Phasen:

    • Zeit im Sitzen
    • Zeit mit leichter körperliche Aktivität
    • Zeit mit moderater bis starker körperlicher Aktivität

    Es wurden 8002 Erwachsene unterschiedlicher Herkunft im Alter von 45 Jahren oder älter beobachtet. Sie nahmen an der Studie Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke (REGARDS) teil. Davon waren 3668 Männer (45,8%). Das Durchschnittsalter betrug 69,8 (+/-8,5) Jahre. Die Analyse wurde vom 18. April 2019 bis zum 21. April 2020 durchgeführt.

    Es wurde untersucht, welche Folgen Aktivität auf das Krebsrisiko hat. Der Fachbegriff einer solchen Beobachtungsstudie ist Kohortenstudie. Sie ermittelt den Zusammenhang einer Exposition, also wenn wir irgendwas ausgesetzt sind, mit den Wirkungen an einer großen Menge.

    Ergebnis

    Längere sitzende Tätigkeit ist mit einem höheren Krebsmortalitätsrisiko verbunden. Eine längere Dauer im Vergleich zu kürzerer sitzenden Tätigkeit war nicht signifikant mit einem höheren Krebsmortalitätsrisiko verbunden. Das Ersetzen von 30 Minuten sitzender Tätigkeit durch leichte körperliche Aktivität verringerte das Risiko deutlich (8 %). Mittlere bis starke körperliche Aktivität senkt das Risiko signifikant (31 %).

    Fazit

    Übe bei sitzender Tätigkeit regelmäßig! Idealerweise verwende Yoga und Entspannungstechniken, wie Du bald in einem neuen Artikel lesen kannst. Bewegungsprogramme für Deine Arbeit erhältst Du bei Deiner Physiotherapeutin oder einer gut ausgebildeten Personal Trainerin. Individuelle Bewegungsprogramme sind grundsätzlich allgemeinen, unspezifischen Anleitungen vorzuziehen.

  • Ergonomie im Sitzen:  Entlastung für Deine Wirbelsäule!

    Ergonomie im Sitzen: Entlastung für Deine Wirbelsäule!

    Das Einordnen der Körperlängsachse entlastet viele Strukturen:

    • Wirbelsäule
      • Knochen
      • Bänder
      • Bandscheiben
      • Gelenke
      • Muskeln
    • Organe/Organstrukturen
      • Zwerchfell
      • Herz
      • Aorta insb. Aortenbogen
      • Nacken
    • Funktion
      • Gleichgewicht
      • Versorgung des Gehirns

    Die Liste bildet einige Beispiele ab und ist nicht vollständig. Eine bessere Ergonomie im Sitzen führt zu einer deutlichen Entlastung und steigert zudem das Wohlbefinden. Wojciech Jastrzębowski schuf 1857 den Begriff Ergonomie (Ergonomik). Das stammt von altgriechisch ἔργον ergon Arbeit. Aus der Betrachtung der gesunden Haltung und Bewegung ist eine Wissenschaft geworden.

    Ein ähnlicher Begriff hat eine andere Bedeutung. Die Ergotherapie unterstützt kranke oder verletzte Menschen insbesondere bei der Bewältigung ihres Alltags. Sie ermöglicht betroffene Menschen:

    • Eigenständige Versorgung
    • Gesellschaftliche Teilhabe
    • Steigerung der Lebensqualität

    Es gibt zwei Grundziele der Ergonomie. Das primäre ist die Belastung für den menschlichen Organismus zu mindern. Das sekundäre ist es die Arbeit zu optimieren. Am Anfang stand noch die Arbeitssicherheit im Vordergrund (zum Beispiel an der Mensch-Maschine Schnittstelle, Anpassung von Arbeitsgeräten/Werkzeugen). Später schaute man mehr auf die Arbeitsbedingungen (Lärmschutz,…) und auch der Arbeitsablauf rückte mehr in das Blickfeld. In den 80er und späteren Jahren wurden diese durch psychologische Betrachtungen ergänzt. Mittlerweile hat sich aber eine ganzheitliche Sichtweise durchgesetzt. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen steht im Mittelpunkt.

    Und in diesem Artikel zeige ich Dir, wie Du für Dich einen gute Sitzposition findest.

    Deine Wirbelsäule

    Die Wirbelsäule ist ein flexibler Stab. Du hast sieben Halswirbel, zwölf Brustwirbel und fünf Lendenwirbel. Zwischen den Wirbeln sind Bandscheiben. Sie haben einen flüssigen Kern, welches von Bindegewebe gehalten wird. Die Wirbel haben zudem Verbindungen über kleine Gelenke.

    Ergonomie im Sitzen: Entlastung für Deine Wirbelsäule! 1
    Die Wirbelsäule von der Seite (grün=Kreuzbein, gelb=Lendenwirbelsäule, blau=Brustwirbelsäule, rot=Halswirbelsäule)

    Ist die Wirbelsäule regelmäßig in Bewegung und nicht belastet, hält Deine Wirbelsäule ein Leben lang! Einseitige Haltung und Belastung führen aber schnell zu ernsten Problemen. Vor allem das lange Sitzen am Arbeitsplatz ist von Natur aus schon belastend.

    Nur Bewegung ernährt die Strukturen in den Gelenken und Bandscheiben. Sie sind bradytroph. Bradytroph bedeutet mit langsamem Stoffwechsel. Bradytrophe Gewebe werden durch Diffusion aus der sie umgebenden Flüssigkeit versorgt. Sie haben nur wenige oder keine Blutgefäße auf. Nutze Pausen zur Bewegung damit Deine Strukturen gut ernährt werden.

    Musst Du lange sitzen, fehlt Deiner Wirbelsäule Bewegung. Bei einseitiger Belastung kommt es zur strukturellen Überlastung.

    Folgen einseitiger Belastung

    Gewichte müssen gehalten werden. Und das muss Deine Muskulatur machen. Gewichte entstehen, wenn Du ein Körperabschnitt aus der Mitte heraus verlagerst. Zum Beispiel, wenn Dein Kopf nach vorn geneigt ist. Sitzt Du noch dazu und schreibst, dann hängen auch noch Deine Arme an der Achse. Die meisten Muskeln können dies baubedingt nicht lange halten. Ein Beispiel ist der Trapeziusmuskel im Nacken. Spätestens nach einigen Minuten wird der Muskel dann sauer. Durch die hohe Spannung (meistens ab ca. 30%) werden die kleinen Blutgefäße zusammen gedrückt. Die Blutversorgung wird gestoppt. Dann arbeitet der Muskel anaerob (also ohne Sauerstoff). Das Stoffwechselprodukt ist Milchsäure (Lactat). Das schwemmt in den Zwischenzellbereich. Die Übersäuerung spürst Du durch Schmerzen. Zudem ist eine koordinierte und weich abgestimmte Muskelarbeit nicht mehr möglich. Das gröbere Einstellen ist im Nacken dann besonders unangenehm. Wir empfinden uns dumpf und eingeschränkt. Dies wirkt sich wieder auf Dein Befinden aus.

    Die Sitzhaltung ist im beruflichen und privaten Kontext viel häufiger als früher.

    Doch niemand hat uns das Sitzen gelehrt. Selbst heute noch gibt es kaum Programme für die Schulen oder an den Arbeitsplätzen. Und das Sitzen ist nun mal ein Programm in unserem Gehirn. Ist das Programm nicht geschult, dann fallen wir schnell in eine ungünstige Sitzhaltung.

    Schmerzen führen zu keiner Veränderung der Sitzhaltung1. In Folge ist häufig eine Schonhaltung zu beobachten. Das Bewegungsempfinden oder konkreter die kinästhetische Sinneswahrnehmung.

    Die Schulung einer besseren Ergonomie der Sitzhaltung wird in Schritten aufgebaut:

    Idee entwickeln

    Forscher gehen davon von einer Wissensvermittlung aus2.[1](Stephen J.Edmondston, Hon Yan Chana, Gorman Chi Wing Ngai, M. Linda R.Warren, Jonathan M.Williams, Susan Glennon, Kevin Netto)Manual Therapy Volume 12, Issue 4, November 2007, Pages 363-371

    einer „guten“ Haltung

    Sitzhaltung üben

    Die erste Regel lautet: Locker bleiben und weiter üben. Bewegungsprogramm benötigen etwa 10.000 Wiederholungen. Das sind umgesetzt in Zeit schon mal drei Jahre üben. Achte auf folgende Punkte:

    • Sitzhöhe mindestens Unterschenkellänge, der Winkel der Kniegelenke ist größer 90°.
    • Beide Fußsohlen sind auf dem Boden.
    • Füße unter oder vor den Kniegelenken.
    • Knie kippen nicht nach innen oder außen.
    • Die Oberschenkel sind leicht gegrätscht.
    • Das Becken muss in einer bestimmten Kippung sein (kein Holkreuz!)
    • Die Sitzbeinhöcker sind gleich belastet.
    • Das Brustbein ist aufgerichtet.
    • Der Nacken ist lang.
    • Der Kopf ist hinten.

    Dies ist für die posturale Kontrolle der entscheidende Aspekt.

    Posturale Kontrolle

    Das Vermögen unter dem Einfluss der Schwerkraft eine aufrechte Körperhaltung zu erhalten.

    Schau Dir dazu mein Video an und beginne:

    Durch Klicken auf das Video wird eine Datenverbindung mit YouTube aufgebaut

    Die Körperlängsachse einnehmen, ganz einfach🤗

    Steigere langsam Deine Wiederholungen. Am Anfang kann man auf einem Hocker sitzend vor einer Wand üben. Nehme die Körperlängsachse ein ohne Kontakt mit der Wand. Dann schiebe Deinen Körper langsam nach hinten an die Wand. Nun überprüfe:

    1. Berühren der Kopf, die Brustwirbelsäule und das Becken gleichzeitig die Wand?
    2. Passt mehr als eine Handfläche zwischen die Lendenwirbel und die Wand?
    3. Passt mehr als ein Finger zwischen die Halswirbel und die Wand?
    4. Ist das Kinn an die Brust gezogen und der Nacken lang? Oder zeigt die Nase nach vorn? (Hier kannst Du einen Spiegel nutzen)

    Bewegung lernen

    Dein denkendes Ich ist kein guter Helfer. Es ist schnell mit anderen Dingen beschäftigt. Deshalb nutze alle Hilfen, die Du Dir geben kannst. Das kann schon ein kleiner Zettel am Arbeitsplatz am Monitor sein. Oder ein Programm, was Dich regelmäßig erinnert.

    In der zweiten Phase wechsel das Hilfsmittel Wand zum Messen gegen einen Stock (Besenstiel reicht). So kannst Du nun auch üben die Langachse einheitlich nach vorn und hinten zu neigen. Auch eine schöne Übung für die Rumpfmuskulatur, vor allem die Bauchmuskulatur wird so sehr effektiv aktiviert.

    Lerne die Körperlängsachse im Raum stabil zu neigen. So kannst Du später die Hebe- und Tragetechniken üben.

    Wohlbefinden steigern

    Bist Du in der Lage die Körperlängsachse einzuordnen und im Raum nach vorne und hinten zu neigen, dann kommt jetzt der nächste Schritt. Lerne die Körperlängsachse ganz minimal hinter der mittleren Position zu halten. Dabei löst Du Spannung im Rücken und Aktivierst den Bauchmuskel. Das bringt ganz tolle physiologische Effekte mit sich.

    • Wir können wieder gut durchatmen.
    • Das Herz ist ohne Kompression.
    • Die Nackenmuskulatur kann sich entpannen.
    • Die Kopfdurchblutung erhöht sich.

    Die Liste ist natürlich viel länger. Ein besonderen Effekt möchte ich aber zeigen: Dein Entspannungsvermögen wird größer und Dein Energielevel steigt. Denn Du aktivierst den „Solar plexus“. Das ist das riesige Nervengeflecht im Bauchraum.

    Sitzen

    Du wirst das auch schon gehört haben. Es ist nicht so weit hergeholt. Der Urmensch war viel mehr in Bewegung als wir heute. Unser Organismus ist auf Bewegung ausgelegt. Also, runter vom Sofa und raus in die Natur! Wenn Deine Arbeit im Sitzen ist, dann tue alles, um die Folgen für Deinen Körper zu minimieren. Hier ein kleines Programm für Dich🤗

    • Sitzhaltung optimieren
      • Körperlängsachse einnehmen
    • Sitzunterstützungen
      • Stuhl
      • Tisch
      • Ergonomische Maus und Tastatur
      • Bildschirm auf Augenhöhe
    • Ausgleichsbewegungen und Übungen
    • Verschiedene Sitzarten und Wechsel des Arbeitsplatzes

    Sitzen in der Schule

    Sitzen Arbeit

    Die Bestuhlung hat nach Untersuchungen geringen oder keinen Einfluss3.

    1. Kathryn Refshauge, Leonard Bolst & Michalene Goodsell. The Relationship Between Cervicothoracic Posture and the Presence of Pain. Journal of Manual & Manipulative Therapy Volume 3, 1995 – Issue 1 ↩︎
    2. Stephen J. Edmondston, Hon Yan Chan, Gorman Chi Wing Ngai, M. Linda R. Warren, Jonathan M. Williams, Susan Glennon, Kevin Netto. Postural neck pain: An investigation of habitual sitting posture, perception of ‘good’ posture and cervicothoracic kinaesthesia, Manual Therapy, Volume 12, Issue 4, 2007, Pages 363-371 ↩︎
    3. Mieke A.A., De Bruyne, Lieven Danneels, Véronique Braet, Evelyn Van De Sijpe, Maaike Vanwijnsberghe, Lieselot Verhenne, Tine Willems. Do stool types have an influence on cervicothoracic muscle activity and cervicothoracic posture among dentists/dental students? Applied Ergonomics Volume 97, November 2021, 103519 ↩︎

    References

    References
    1 (Stephen J.Edmondston, Hon Yan Chana, Gorman Chi Wing Ngai, M. Linda R.Warren, Jonathan M.Williams, Susan Glennon, Kevin Netto)Manual Therapy Volume 12, Issue 4, November 2007, Pages 363-371